BFH V. Senat

EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst g , UStG § 4 Nr 16 Buchst k , UStG § 4 Nr 25 S 3 Buchst c , UStG § 15 Abs 2 S 1 Nr 1 , FamFG § 158 , FamFG § 276 , FamFG § 317 , UStG VZ 2014 , UStG VZ 2015 , UStAE Abschn 4.25.2 Abs 9 , UStG § 4 Nr 25 S 3 Buchst d

vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 04. April 2019, Az: 4 K 1673/15

Die nach §§ 276, 317 FamFG gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen können sich auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 04.04.2019 - 4 K 1673/15 hinsichtlich der Streitjahre 2014 und 2015 aufgehoben.

Die Sache wird insoweit an das Sächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Die Beteiligten streiten (nur) noch über die Steuerfreiheit der Umsätze des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) als Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen in 2014 und 2015 (Streitjahre).

Der Kläger war in den Streitjahren u.a. als Umgangspfleger, Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen nach § 158 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) sowie als Verfahrenspfleger in Betreuungssachen (§ 276 FamFG) und in Unterbringungssachen (§ 317 FamFG) tätig. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) betrugen die Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen … € in 2014 und 0 € in 2015.

Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für 2013 ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) von einer Steuerpflicht der Umsätze als Verfahrensbeistand und -pfleger aus. Hierauf gab der Kläger in seiner Umsatzsteuererklärung 2014 sowie in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen 2015 zwar steuerpflichtige Umsätze als Verfahrensbeistand und -pfleger an, legte dagegen jedoch Einspruch ein. Zur Begründung machte er geltend, diese Umsätze seien nach § 4 Nr. 25 des Umsatzsteuergesetzes in den in den Streitjahren geltenden Fassungen (UStG a.F.) sowie nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) steuerfrei.

Das FA half den Einsprüchen nur hinsichtlich der Umsätze als Umgangspfleger ab und wies sie im Übrigen als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 12.11.2015).

Mit der dagegen vor dem FG erhobenen Klage berief sich der Kläger weiterhin auf die Steuerfreiheit seiner Umsätze als Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen sowie als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen. Die während des Klageverfahrens eingereichte und zu einer Vorbehaltsfestsetzung führende Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2015 wurde gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens.

Das FG wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2021, 1773 veröffentlichten Urteil ab, weil sämtliche Umsätze des Klägers steuerpflichtig seien. Für die lediglich im Streitjahr 2014 angefallenen Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrenspfleger in Betreuungs- sowie in Unterbringungssachen ergebe sich eine Steuerbefreiung weder aus nationalem Recht (§ 4 Nr. 16 Buchst. k UStG a.F. oder § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. c UStG a.F.) noch aus dem Unionsrecht. Beide Verfahrenspflegschaften seien auf das gerichtliche Verfahren in Betreuungs- und Unterbringungssachen nach §§ 271 ff. FamFG bzw. §§ 312 ff. FamFG beschränkt. Die Tätigkeit des Verfahrenspflegers unterscheide sich nicht wesentlich von der steuerpflichtigen Tätigkeit des Verfahrensbeistands nach § 158 FamFG. Dass das Betreuungsrecht (§§ 1896 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) nur für Volljährige gelte, während sich die entsprechenden Rechtsfolgen für Minderjährige im Wesentlichen aus dem Recht der Vormundschaft (§ 1773 BGB) bzw. den Bestimmungen über freiheitsentziehende Maßnahmen (§ 1631b BGB) ergäben, rechtfertige es nicht, die streitgegenständlichen Verfahrenspflegschaften anders als den Verfahrensbeistand nach § 158 FamFG zu behandeln. Die Finanzverwaltung versage daher in Abschn. 4.25.2 Abs. 9 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) zu Recht die Steuerfreiheit derartiger Umsätze.

Mit seiner Revision wandte sich der Kläger gegen die Versagung der Steuerfreiheit für die Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen und als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen. Im Hinblick auf das Senatsurteil vom 17.07.2019 - V R 27/17 (BFHE 266, 82), das vom FG bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigt werden konnte, half das FA dem Klagebegehren mit den Änderungsbescheiden vom 21.07.2020 für die seinerzeit auch streitigen Jahre 2010 bis 2013 sowie für die noch streitigen Jahre (2014 und 2015) insoweit ab, als es die Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen steuerfrei stellte und die Vorsteuerbeträge entsprechend kürzte. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit für die Jahre 2010 bis 2013 in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, ist das Verfahren insoweit abgetrennt und durch Kostenbeschluss vom 26.05.2021 (V R 18/21) erledigt worden.

Hinsichtlich der noch streitigen Umsätze als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen trägt der Kläger vor, dass für diese Tätigkeit nichts anderes gelten könne als für die Tätigkeit als Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen nach § 158 FamFG. Selbst das FG habe in seinem Urteil festgestellt, dass sich beide Tätigkeiten nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Der einzige Unterschied liege darin, dass er, der Kläger, als Verfahrenspfleger nicht gegenüber Kindern, sondern gegenüber solchen volljährigen Personen tätig werde, die ihre Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ganz oder teilweise nicht selbst besorgen könnten. Dabei werde er tätig, bevor das Gericht entscheide, ob ein gesetzlicher Betreuer bestellt oder eine freiheitsentziehende Maßnahme genehmigt werde. Ein Verfahrenspfleger solle die Interessen des Betroffenen umfassend vertreten und dessen Rechte --insbesondere im Hinblick auf etwaige gravierende Eingriffe-- wahren, wie beispielsweise eine mögliche Unterbringung. Weiterhin habe er zu prüfen, ob alle möglichen freiwilligen Angebote für den Betroffenen ausgeschöpft wurden, um dessen Interessen angemessen gerecht zu werden. Schließlich gehöre es zu seinen Aufgaben, dem Betroffenen den Ablauf des gerichtlichen Verfahrens zu erläutern.

Menschen mit einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seien ebenso schutzbedürftig wie Kinder. Leistungen an Kranke habe der Bundesfinanzhof (BFH) bereits in seinem Urteil vom 25.04.2013 - V R 7/11 (BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976 "Berufsbetreuer") als umsatzsteuerbefreit anerkannt. Der Berufsbetreuer werde unter Umständen für die gleiche Person eingesetzt, für die zuvor ein Verfahrenspfleger bestellt wurde. Im Hinblick auf die identischen Leistungsempfänger stelle auch die Tätigkeit als Verfahrenspfleger eine eng mit der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung dar. Zu berücksichtigen seien auch die Solidaritäts- und Schutzpflichten gegenüber Menschen mit Behinderung (Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--, Art. 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union --EUGrdRCh--) sowie die besondere Rechtfertigungsbedürftigkeit von freiheitsentziehenden Maßnahmen (Art. 2 Abs. 2 GG).

Verfahrenspfleger seien auch als soziale Einrichtung anerkannt. Die gesetzlichen Regelungen in §§ 276, 317 FamFG stellten spezifische Vorschriften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) dar. An der Tätigkeit des Verfahrenspflegers bestehe auch ein erhebliches Gemeinwohlinteresse, da die Bestellung bezwecke, Volljährige zu unterstützen, die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen könnten. Die Kostenübernahme erfolge im überwiegenden Teil der Fälle durch die Staatskasse.

Auf das Hinweisschreiben des Gerichts vom 24.03.2021 hat der Kläger am 06.04.2021 mitgeteilt, dass der Umsatz als Verfahrenspfleger für 2015 im Urteil des FG fälschlicherweise im Betrag "Verfahrensbeistand" enthalten sei. Im Urteil sei der Umsatz als Verfahrensbeistand mit … € beziffert, dabei handele es sich allerdings um die Summe der Umsätze als Verfahrensbeistand (… €) und als Verfahrenspfleger (… €). Korrekt wäre zwar der getrennte Ausweis der Umsätze gewesen, diese Unstimmigkeit sei jedoch aufgrund der Offensichtlichkeit unschädlich.

Der Kläger beantragt nunmehr sinngemäß,
das angefochtene Urteil des Sächsischen FG vom 04.04.2019 - 4 K 1673/15 aufzuheben und die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2014 und 2015 in Gestalt der Umsatzsteuerbescheide vom 21.07.2020 dahingehend zu ändern, dass die Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen in Höhe von … € (2014) und in Höhe von … € (2015) als umsatzsteuerfrei behandelt und die Vorsteuerbeträge entsprechend angepasst werden.

Das FA beantragt sinngemäß,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es beruft sich auf die Verwaltungsauffassung in Abschn. 4.25.2 Abs. 9 UStAE, wonach Verfahrenspfleger keine den Betreuern oder Vormündern vergleichbare Tätigkeit ausüben, weil sie lediglich in Gerichtsverfahren auftreten und dort die Interessen der betroffenen Person zur Geltung bringen. Im Vergleich zu Betreuern und Vormündern sei der Gegenstand der Leistung begrenzt, z.B. auf die Stellungnahme zu der Frage, wer das Sorgerecht erhalten solle. Eine umfassende Personen- oder Vermögenssorge werde nicht wahrgenommen. Die Vertretung vor Gericht sei keine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistung.

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache mangels Spruchreife an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat die Steuerfreiheit der Umsätze des Klägers als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen unter Verstoß gegen Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL verneint, es fehlen jedoch für das Streitjahr 2015 Feststellungen zur Höhe der streitgegenständlichen Umsätze und für beide Streitjahre (2014 und 2015) Feststellungen dazu, ob und ggf. in welcher Höhe Vorsteuerbeträge auf die steuerfreien Umsätze entfallen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG).

1. Die Leistungen des Klägers als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen sind --wovon auch die Beteiligten zu Recht ausgehen-- weder nach § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG noch nach § 4 Nr. 25 UStG von der Umsatzsteuer befreit.

a) § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG befreit u.a. Umsätze der Einrichtungen von der Umsatzsteuer, die als Betreuer nach § 1896 Abs. 1 BGB bestellt worden sind. Der Kläger wird hinsichtlich der streitgegenständlichen Umsätze nicht als amtlich bestellter Betreuer nach § 1896 BGB tätig, seine Tätigkeit beschränkt sich auf die Mitwirkung im gerichtlichen Verfahren vor der Anordnung einer Betreuung oder der Anordnung einer Unterbringung. Dabei beruht seine Bestellung auf § 276 FamFG (Betreuungssachen) oder auf § 317 FamFG (Unterbringungssachen).

b) Die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. c UStG a.F. ist ebenfalls nicht einschlägig, da sie lediglich Leistungen der Vormünder nach § 1773 BGB oder Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB betrifft und der Kläger nicht zu dieser Personengruppe gehört.

2. Die Umsätze des Klägers sind aber --entgegen der Auffassung des FG-- nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit. Der Kläger erbringt begünstigte Leistungen sozialen Charakters und er ist auch als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt.

Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen (...), einschließlich derjenigen, die durch (...) Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden". Diese Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind (Senatsurteile in BFHE 266, 82, und vom 18.08.2005 - V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, Rz 45 und 46, sowie BFH-Urteil vom 07.12.2016 - XI R 5/15, BFHE 256, 550; EuGH-Urteile Administration de l'Enregistrement, des Domaines et de la TVA, EQ vom 15.04.2021 - C-846/19, EU:C:2021:277, und Kingscrest Associates und Montecello vom 26.05.2005 - C-498/03, EU:C:2005:322, Rz 34).

a) Die Leistungen des Klägers als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen sind "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen".

Die in Art. 132 MwStSystRL vorgesehenen Steuerbefreiungen stellen zwar eigenständige Begriffe des Gemeinschaftsrechts dar und erfordern daher eine gemeinschaftsrechtliche Definition (vgl. EuGH-Urteil Kingscrest Associates und Montecello, EU:C:2005:322, Rz 22, m.w.N.), die Begriffe "Sozialfürsorge" und "soziale Sicherheit" werden aber weder in der MwStSystRL noch vom EuGH definiert. Aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt sich allerdings, dass diese Steuerbefreiung stets Leistungen an hilfsbedürftige Personen betrifft, und zwar an körperlich oder wirtschaftlich Hilfsbedürftige (EuGH-Urteil Kügler vom 10.09.2002 - C-141/00, EU:C:2002:473), an Kinder (vgl. EuGH-Urteil Kinderopvang Enschede vom 09.02.2006 - C-415/04, EU:C:2006:95) oder an Senioren in einer Einrichtung für betreutes Wohnen (EuGH-Urteil Les Jardins de Jouvence vom 21.01.2016 - C-335/14, EU:C:2016:36). Darüber hinaus müssen die erbrachten Dienstleistungen jedenfalls für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sein (EuGH-Urteil Finanzamt D vom 08.10.2020 - C-657/19, EU:C:2020:811; BFH-Urteil vom 24.02.2021 - XI R 30/20, BFHE 272, 259, Leitsatz 1).

Diese Voraussetzungen erfüllen auch die im Vorfeld der Bestellung eines Betreuers tätigen Verfahrenspfleger nach § 276 FamFG sowie die vor Anordnung einer (geschlossenen) Unterbringung tätigen Verfahrenspfleger nach § 317 FamFG.

aa) Die vorrangige Aufgabe des Verfahrenspflegers --auch als "Pfleger für das Verfahren" bezeichnet-- besteht darin, gegenüber dem Gericht den Willen des Betroffenen kundzutun und dessen aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör zu verwirklichen (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 17.05.2017 - XII ZB 546/16, Zeitschrift für das Gesamte Familienrecht --FamRZ-- 2017, 1322; vom 29.06.2011 - XII ZB 19/11, FamRZ 2011, 1577, Rz 8, sowie vom 28.05.2014 - XII ZB 705/13, FamRZ 2014, 1446, Rz 5, m.w.N.).

"Betroffene" in diesem Sinne sind beim Verfahrenspfleger für Betreuungssachen volljährige Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können (§ 1896 Abs. 1 BGB). Von Unterbringungsverfahren betroffen sind insbesondere Personen, bei denen aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr besteht, dass sie sich selbst gefährden oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen und daher eine --zivilrechtliche (§ 1906 BGB) oder öffentlich-rechtliche (nach den Landesgesetzen über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten)-- Unterbringung erforderlich erscheint (vgl. hierzu BGH-Beschluss vom 09.06.2021 - XII ZB 97/21, FamRZ 2021, 1661).

In beiden Fällen erbringt der Verfahrenspfleger Leistungen an (hilfsbedürftige) Personen. Denn zu diesen gehören auch Erwachsene, deren geistige Fähigkeiten infolge Krankheit, Behinderung oder Gebrechlichkeit stark beeinträchtigt sind (vgl. EuGH-Urteil Administration de l'Enregistrement, des Domaines et de la TVA, EQ, EU:C:2021:277; Senatsurteil in BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976).

bb) Die Leistungen des Verfahrenspflegers sind für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze von Betreuern in rechtlicher Hinsicht unerlässlich. Denn die Bestellung eines Betreuers setzt ebenso wie die Anordnung der geschlossenen Unterbringung die Mitwirkung des Verfahrenspflegers voraus:

(1) Im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB hat das zuständige Betreuungsgericht einen Verfahrenspfleger im Regelfall zu bestellen, wenn von der persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden soll (§ 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FamFG) oder aber Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist (§ 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG). Liegen diese Regelbeispiele nicht vor, kann dem Betroffenen nach der Generalklausel des § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG ein Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn dies "zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist". Wann dies der Fall ist, hängt vom Grad der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstands ab (BGH-Beschlüsse vom 11.12.2013 - XII ZB 280/11, FamRZ 2014, 378, sowie vom 13.11.2013 - XII ZB 339/13, FamRZ 2014, 192).

(2) In Unterbringungsverfahren gilt dies entsprechend (vgl. § 317 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Dabei ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers insbesondere dann erforderlich, wenn von einer Anhörung des Betroffenen abgesehen werden soll (§ 317 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FamFG). Anders als in Betreuungssachen kann in Unterbringungssachen von der Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht abgesehen werden, wenn kein Interesse des Betroffenen an der Bestellung eines Verfahrenspflegers besteht.

Fehlt es an der (erforderlichen) Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist die jeweilige Maßnahme verfahrensfehlerhaft und der entsprechende Beschluss wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufzuheben (vgl. BGH-Beschluss vom 20.01.2021 - XII ZB 202/20, FamRZ 2021, 636). Ohne wirksamen Beschluss kann die als Betreuer vorgesehene Person nicht für den Hilfsbedürftigen tätig werden und die zum Schutz des Betroffenen erforderliche Unterbringungsmaßnahme nicht erfolgen.

cc) Der Qualifikation als Sozialleistung steht nicht entgegen, dass als Verfahrenspfleger im Regelfall Anwälte bestellt werden. Denn der Verfahrenspfleger wird mit dem Akt der Bestellung zum Beteiligten und hat damit die Aufgabe, die Interessen des Betroffenen wahrzunehmen, ohne an dessen Weisungen gebunden zu sein. Der Verfahrenspfleger ist nach der gesetzlichen Ausformung ein "besonderer Pfleger", der für seine Aufgaben anwaltliche Qualifikationen mitbringen kann, aber nicht notwendigerweise mitbringen muss. Die Verfahrenspflegschaft ist daher keine anwaltsspezifische oder dem Anwaltsberuf vorbehaltene Tätigkeit (Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.06.2000 - 1 BvR 23/00, FamRZ 2000, 1280, Rz 23).

b) Entgegen der Ansicht des FG ist der Verfahrenspfleger auch als soziale Einrichtung anerkannt. Einer Anerkennung steht insbesondere nicht entgegen, dass es sich beim Kläger um eine natürliche Person mit Gewinnerzielungsabsicht handelt (ständige Rechtsprechung, vgl. EuGH-Urteile Kingscrest Associates und Montecello, EU:C:2005:322, Rz 35 und 40; MDDP vom 28.11.2013 - C-319/12, EU:C:2013:778, Rz 28 und 31).

aa) Da Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung als soziale Einrichtung nicht festlegt, ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Zu diesen gehören

- das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann,

- das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,

- die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und

- die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit (vgl. hierzu EuGH-Urteile Kügler, EU:C:2002:473, Rz 54 und 58, und Zimmermann vom 15.11.2012 - C-174/11, EU:C:2012:716, Rz 26).

bb) Im Streitfall folgt die Anerkennung des Klägers als soziale Einrichtung aus dem Bestehen spezifischer Vorschriften für Verfahrenspfleger, deren Tätigkeit im Gemeinwohlinteresse sowie aus der Anerkennung anderer Steuerpflichtiger mit gleichen Tätigkeiten ("Neutralitätsprinzip").

(1) Die Anerkennung des Klägers ergibt sich insbesondere aus § 276 FamFG sowie § 317 FamFG als spezifische Vorschriften im Sinne der EuGH-Rechtsprechung. Bei der Auswahl und der anschließenden Bestellung des Verfahrenspflegers hat das Familiengericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung die Eignung der auszuwählenden Person zu prüfen und festzustellen (vgl. § 276 Abs. 3 und 4 sowie § 317 Abs. 3 und 4 FamFG).

Die Qualifikation von § 276 bzw. § 317 FamFG als "spezifische Vorschrift" scheitert nicht daran, dass die Anforderungen an die Person des Verfahrenspflegers nicht im Einzelnen gesetzlich geregelt sind (vgl. hierzu Senatsurteile in BFHE 266, 82, Rz 29, und in BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 23). Abgesehen davon, dass zur Konkretisierung auf das allgemeine Pflegschaftsrecht zurückgegriffen werden kann, wonach sich die Eignung des Verfahrenspflegers letztlich nach den für einen Vormund bestimmten Kriterien richtet (vgl. Fröschle in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl., § 276 Rz 42 f.), genügt insoweit als Indiz für die Anerkennung, dass vor der Bestellung des Verfahrenspflegers eine gesetzlich vorgeschriebene Eignungsprüfung durch das Familiengericht erfolgt.

(2) An der Tätigkeit eines Verfahrensbeistands in Betreuungs- und Unterbringungssachen besteht ein besonderes Gemeinwohlinteresse. In diesen Verfahren geht es fast ausschließlich um intensive Grundrechtseingriffe gegenüber Hilfsbedürftigen, sei es, weil eine Betreuerbestellung erfolgt, eine weitergehende Betreuungsmaßnahme beschlossen wird oder weil eine Maßnahme unterlassen und der Rechtsanspruch auf rechtliche Betreuung nicht erfüllt wird (Brosey in Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl., § 276 Rz 1). Die Maßnahmen bedürfen daher verfahrensrechtlicher Garantien, um den Betroffenen unter den Schutz der Rechtsgemeinschaft zu stellen (vgl. Leeb/Weber, Der Verfahrenspfleger, Neue Juristische Online-Zeitschrift 2014, 1201). Sind die Betroffenen infolge dauerhafter körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung als Menschen mit Behinderung anzusehen, greifen zudem die Schutz- und Fürsorgepflichten aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie Art. 26 EUGrdRCh ein. Dies gilt erst recht für die von Unterbringungssachen betroffenen Personen, da es hier um schwerwiegende Eingriffe in deren grundrechtlich geschützte Freiheitsrechte (Art. 2 Abs. 2 GG) geht.

(3) Für die Anerkennung des Verfahrensbeistands als soziale Einrichtung spricht darüber hinaus, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten über eine Anerkennung verfügen ("Neutralitätsprinzip").

(a) Andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten und staatlicher Anerkennung sind allerdings nicht die Berufsbetreuer nach § 1896 BGB, deren Tätigkeit durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26.06.2013 (BGBl I 2013, 1809) in § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG seit 01.07.2013 von der Umsatzsteuer befreit wurde. Denn diese Berufsgruppen üben --wie das FA und das FG zu Recht vortragen-- andere Tätigkeiten als der Verfahrenspfleger aus. Während dieser vor der Bestellung eines Betreuers und lediglich im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens tätig wird, setzt die auf Dauer angelegte Tätigkeit des Betreuers erst nach dem Tätigwerden des Verfahrenspflegers und mit seiner wirksamen Bestellung ein. Beide Tätigkeiten schließen sich gegenseitig aus, da es nicht zulässig ist, einen Verfahrenspfleger auch zum Betreuer zu bestellen. Geschieht dies gleichwohl, ist diese Bestellung zwar formell nicht unwirksam, der Betroffene hat aber dann tatsächlich keinen oder einen völlig ungeeigneten Verfahrenspfleger (Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27.01.1994 - 3Z BR 303/93, FamRZ 1994, 780).

(b) Eine dem Neutralitätsprinzip widersprechende Ungleichbehandlung findet jedoch hinsichtlich der Verfahrensbeistände und des Verfahrenspflegers statt. Denn der Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen nach § 158 FamFG, in Abstammungssachen nach § 174 FamFG sowie in Adoptionssachen nach § 191 FamFG wurde vom Gesetzgeber durch § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. d UStG mit Wirkung zum 01.01.2021 (UStG n.F.) von der Umsatzsteuer befreit und damit (konkludent) als soziale Einrichtung im Sinne des Unionsrechts anerkannt. Wie der Kläger zu Recht geltend macht und wovon auch das FG ausgeht, besteht zwischen beiden Berufsgruppen kein wesentlicher Unterschied. Zwar werden die Verfahrensbeistände nach §§ 158, 174 und 191 FamFG in Kindschaftssachen tätig, während die Verfahrenspfleger die Interessen von physisch oder psychisch kranken Volljährigen wahrnehmen, jedoch handelt es sich in beiden Fällen um besonders schutzbedürftige Personen.

(4) Ob auch das Kriterium der Kostenübernahme für eine Anerkennung als soziale Einrichtung spricht, kann der Senat im Ergebnis offen lassen. Denn die Prüfung der Anerkennung als soziale Einrichtung erfolgt im Rahmen einer Gesamtwürdigung, bei der mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Die Anerkennung setzt daher nicht voraus, dass alle für die Anerkennung in Betracht kommenden Kriterien kumulativ vorliegen müssen (EuGH-Urteil Zimmermann, EU:C:2012:716, Rz 31; Senatsurteile in BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 28, sowie BFH-Urteil vom 08.06.2011 - XI R 22/09, BFHE 234, 448).

3. Das Urteil des FG widerspricht diesen Grundsätzen und ist daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, sondern wegen fehlender Feststellungen an das FG zurückzuverweisen.

a) Aufgrund der Steuerfreiheit der Leistungen des Klägers als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen ist über die sich hieraus ergebenden Einschränkungen beim Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG) zu entscheiden. Der Kläger hat weder in seinen Schriftsätzen noch in seinem Revisionsantrag bezifferte Angaben zu dem auf die steuerfreien Umsätze entfallenden Vorsteuerabzug gemacht und das FG hat --aus seiner Sicht zu Recht-- hierzu auch keine Feststellungen getroffen. Diese sind daher im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

b) Für das Streitjahr 2015 hat das FG festgestellt, dass keine Umsätze als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen getätigt wurden. Der Senat ist nach § 118 Abs. 2 FGO an diese Feststellungen gebunden, da hiergegen keine begründeten Verfahrensrügen vorgebracht wurden. Soweit der Kläger behauptet, dass diese Feststellung des FG fälschlicherweise getroffen und tatsächlich begünstigte Umsätze in Höhe von … € ausgeführt worden seien, ist es dem Senat im Revisionsverfahren versagt, neue Tatsachen zu berücksichtigen (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 01.12.2020 - VIII R 40/18, BFHE 271, 493, Rz 35, m.w.N.). Das FG wird daher im Rahmen des zweiten Rechtsgangs festzustellen haben, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe derartige Umsätze tatsächlich vorliegen. Sofern dies der Fall sein sollte, sind diese Umsätze nach den o.g. Ausführungen unter II.2. umsatzsteuerfrei zu stellen und der Vorsteuerabzug entsprechend zu kürzen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG).

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung an das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.